Nun sind alle Europäer mehr oder weniger geschockt. Die Empfindlicheren sind es schon sehr lange, lange bevor nun auch hier in Europa willkürlicher Terror und Amok gegen irgendwelche Allerweltsmenschen zum Alltag zu werden scheinen.
Es mag zynisch oder bitter klingen und das ist es auch, aber in einem gewissen Sinne bekommen wir das, was wir uns verdient haben. Verdient mit langjähriger Ignoranz dem gegenüber, dass in unserem Namen, für unser schön bunt funkelndes Konsum Paradies überall in der Welt gelitten und gestorben wird.
Unsere ganze überhebliche aber in Wirklichkeit ziemliche primitive Überzeugung, dass wenn es uns doch materiell so gut geht, wir uns das schon irgendwie rechtmäßig verdient haben werden ist widerlich. Unsere Mitschuld an dem Elend das wir mit anrichten, diese Mitschuld, die wir vielleicht fast alle bewusst, vor-bewusst oder unbewusst empfinden, bewältigen wir mehr schlecht als recht indem wir über unserer eigenes Alltags Leiden klagen.
Schließlich bringen wir doch alle erhebliche Opfer für unseren vielfach obszönen Überfluss. Auf was verzichten wir nicht alles. Auf die freie selbstbestimmte Verfügung über unsere Lebenszeit, auf eine nicht entfremdete Arbeit, auf ein Leben, in dem nicht immer mehr alles und jedes zum Objekt von Konkurrenz von jedem gegen jeden wird, auf eine wirklich befreite Lust an unserer Leiblichkeit...
Und wir verzichten auf ein wirklich geklärtes kultiviertes Verhältnis zur Gewalt und das ist vielleicht das Schlimmste. Alltäglicher Konsum von Gewaltmeldungen und kunsthandwerklichen Gewalt Darstellungen in Spielen, Filmen, Texten. In unserem Zustand der permanenten Halbbetäubung ziehen wir uns das wie ein tägliches Brot selbstverständlich rein, ohne kaum jemals inne zu halten und in aller Konsequenz zu fragen: Ist das die Welt in der ich leben will?
Mit einem anderen Teil der alltäglichen Gewalt, derjenigen im näheren Lebensumfeld, gehen wir nicht besser um. Es wird sich zwar gelegentlich empört. Aber eigentlich hat doch fast jeder bei Bedarf einen Koffer voll mit verquasten Rechtfertigungen dafür, dass der oder die irgendwie zu Recht mal was „auf den Hut“ bekommen sollte und sei es auch nur eine kleine schäbige gekränkte Eitelkeit die unsere Wut treibt.
Und wenn jemand es wagt (besonders wenn er ein Mann ist), sich über erlittene Alltagsgewalt zu beklagen, läuft er Gefahr, anderen als Schwächling zu gelten oder reflexartig auf die angebliche eigene Verantwortung für das Erlittene hingewiesen zu werden. Oder eine Gegenseite behauptet dreist, man hätte doch selbst angefangen. Falsch geguckt, was Falsches gesagt, oder man wird gar fälschlicherweise beschuldigt selbst Gewalt ausgeübt zu haben. Es gibt in einer angeblich zivilisierten Gesellschaft wie unserer fast keine Einrichtungen, in den denen männliche Gewaltopfer mit kompetenter Menschlichkeit aufgefangen werden.
Dass wir uns diesen bizarren Umgang mit dem komplexen Thema Gewalt leisten ist ein „Luxus“, den wir u.U. noch sehr viel teurer werden bezahlen müssen als es sich jetzt schon abzeichnet.
Psychoanalytisch betrachtet könnte man vielleicht von einer Wiederkehr des Verdrängten sprechen. Das Gewaltthema was viele lange Zeit versucht haben zu erledigen mit den verschiedensten aufbereiteten bunten Formen fein dosierter aber auf Abstand gehaltener Gewalt-Alltagsdröhnungen, dieses Gewaltthema steht auf einmal mit einer ganz mächtigen realen Präsenz in unser aller Leben.
Ich zitiere mich selbst: „Die Menschen müssten insgesamt klüger und wachsamer werden, sich aktiver mit Liebe und Verstand für die Gestaltung der Welt im Kleinen wie im Großen engagieren, sonst bleiben sie auch in Zukunft Spielball in der Auseinandersetzung mächtiger Interessengruppen.“
Das Gefährlichste ist vielleicht das Zerrissene in uns, all die ungeklärten Konflikte und Verletzungen in unseren kleinen Leben, die wir nicht aufarbeiten, weil wir eigentlich verwöhnte, mit süßem Glitzer Dauer bedröhnte hilflose Barbaren sind, die es nicht gelernt haben wirklich mit Liebe und Verstand Verantwortung für uns selbst, für andere und für die Welt zu übernehmen.
Quo vadis Menschheit?, wird sich manch einer fragen. Wir werden sehen. Meiner Meinung nach ist der Weg zurzeit noch in alle Richtungen offen. Aber werden wir besonnen, liebevoll und vernünftig genug sein um die weitere Entfesselung von autoritären, gewalttätigen, auf Vernichtung anderer zielender Verhaltensweisen zu verhindern?
_________________ "Viel Feind´, viel Ehr !" (Georg von Frundsberg)
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