Hallo liebes Forum,
vielleicht werde ich euch nicht allzu lange erhalten bleiben, denn mein Leben wird sich in den nächsten Wochen und Monaten ziemlich verändern, dennoch möchte ich mich kurz vorstellen und euch vielleicht um ein paar Ratschläge bitten
Ich bin 19 Jahre jung, die Abiturprüfungen stehen kurz bevor und außer dem Wehrdienst weiß ich noch nicht, wie es mit mir nach der Schule weitergehen soll. Mir gefällt es aus den verschiedensten Gründen nicht in Deutschland, vor allem weil mir mehr und mehr bewusst wird, was für ein verbohrtes, engstirniges und verblendetes Volk wir Deutschen doch sind! Belege dafür finden sich an jeder Ecke in so großen Mengen, dass sie leider fast niemandem mehr auffallen (fast, weil es hier ja offenbar doch Leute gibt, denen es auffällt), was aber nichts an ihrer Existenz ändert. Deshalb, so dachte ich bislang, hegte ich den Wunsch, auszuwandern um ein besseres Leben führen zu können, weit weit weg von hier und dem ganzen System, das ich so sehr ablehne.
Während einer Diskussion mit meiner Mutter (ich glaube wir diskutierten über "Brave New World" und Aubrey de Grey) machte ich eine Bemerkung, deren Bedeutung mir erst nach und nach klar wurde: Meine Mutter fragte mich, wo man denn Gegner eines Systems wie das in "Brave New World" hinbringen könnte, damit sie dem System nicht mehr schaden könnten und ich sagte "Wenn ich das wüsste, würde ich sofort dahin gehen", was meine Mutter natürlich zunächst ziemlich irritierte.
Nach langem Nachdenken über diese Äusserung bin ich jedenfalls zu der Erkenntnis gekommen, dass ich eigentlich nicht bloß aus
wandern, sondern aus
steigen will, und zwar so radikal wie möglich ohne das Menschsein ansich aufzugeben (sprich ich will dabei nicht zum "Tier" [was ist der Mensch schon anderes?] werden).
Mein Traum wäre es, aber ich denke, es wird ein Traum bleiben, in einer Gemeinschaft zu leben, in der die Menschen weitgehend Ruhe voreinander haben, aber die sich vollkommen autark erhalten kann, sprich Kleidung, Nahrung, Bedarfsgegenstände wie Werkzeuge, Möbel etc selbst produziert, ohne dafür auf die Aussenwelt angewiesen zu sein und in der es
kein Geld gibt - eine Vision, die ich ungefähr seit meinem sechsten Lebensjahr habe.
Nunja, ich denke ich bin gerade in einem ziemlich tiefgreifenden und schwierigen Selbstfindungsprozess begriffen, ein Prozess mit (nicht ganz) ungewissem Ausgang. Denn eines steht fest: Ich weiß zwar noch nicht genau, wer "Ich" bin (darüber wissen ja selbst die Philosophen keine klare Auskunft zu geben), aber ich weiß, was ich nicht will, und das ist ein Leben im Sinne der Normen und Zwänge unserer Gesellschaft! Ich war von kleinauf ein kleiner "Rebell", wenn auch fast immer friedlich, und mein erstes Wort war nicht Mama, nicht Papa, nicht Auto, und nicht Teddy, sondern "Nein!". Das erste Wort, das ich sagen konnte, war "Nein!".
Ich denke, das sagt alles
Jetzt stehe ich vor einer schwierigen, wenn nicht sogar vor der schwierigsten Entscheidung meines Lebens, nämlich der ersten bewussten und absichtlichen Planung meines weiteren Werdegangs - man könnte auch sagen vor der Entscheidung über "Gedeih und Verderb".
Wenn ich mich, entgegen meiner Überzeugung und wider gesunden Menschenverstand
doch an dieser Gesellschaft beteiligen wollte, würde ich wohl eine Ingenieurswissenschaft studieren, Fahrzeugtechnik oder Luft- und Raumfahrttechnik zum Beispiel. Nach ein paar Jahren Studium hätte ich hervorragende Aussichten auf dem Arbeitsmarkt und könnte im ersten(!) Berufs-Jahr mit einem Jahreseinkommen von ~40.000€ rechnen und und wäre der Anerkennung meiner Familie und Freunde gewiss. Der Preis: Ich müsste mich in ein System integrieren, das ich aus tiefstem Herzen verabscheue!
Aus letztgenanntem Grund kann ich mich nicht für ein Studium entscheiden - ich will lieber aussteigen, bzw gar nicht erst einsteigen!!!
Doch das sagt sich leichter, als es ist, denn wenn ich realistisch bin, kann ich nicht einfach meine Sieben Sachen packen und anfangen, irgendwo Landwirtschaft zu betreiben. Es wird also nötig sein, mir ein Startkapital zu erarbeiten (wenn ich endlich mal wieder ein Ziel vor Augen habe, wird das kein allzu großes Problem sein!) und am besten eine handwerkliche Ausbildung während dieser Zeit zu machen.
Was mir wirklich Spass machen würde, wäre eine Ausbildung zum Schmied, speziell zum Messerschmied, denn Feuer und Messer haben mich schon als Kind fasziniert, faszinieren mich bis heute und gute handgeschmiedete Messer sollten einen ausreichenden Nebenverdienst darstellen, um mich bei ansonsten "aussteigerischer" Lebensweise finanziell über Wasser halten zu können und sogar ein wenig für schlechte Zeiten sparen zu können.
Während meiner Ausbildung müsste ich dann wohl noch einen Nebenjob annehmen, um genug Geld zum Aussteigen / Einstiegsverweigern und zum Aufbau einer selbstversorgerischen Existenz zu haben. Sollte ich, wie es mir momentan die einzig richtige Entscheidung scheint, Deutschland verlassen wollen, müsste ich dann zusätzlich zu Ausbildung und Nebenjob auch noch die Landessprache des Landes lernen, in das ich dann aussteigen würde. So würde das wahrscheinlich ein paar Jahre gehen, Schmieden lernen, Sparen für den Ausstieg und die Sprache lernen.
Irgendwann wäre es dann soweit, ich hätte genug handwerkliches Können und genügend Erspartes, um den großen Schritt in eine ungwisse Zukunft zu wagen: Auszuziehen, ein Haus zu bauen, den Boden zu bestellen und zu leben
Ich stelle mir das dann so vor, dass ich (mit einem netten Mädchen an meiner Seite) irgendwo im europäischen Ausland Land kaufe, von dem wir uns und später auch unsere Kinder (das ist auch noch so ein heikler Punkt) ernähren können, dort hinfahren, ein Haus mit Schmiede bauen, anfangen den Boden zu bearbeiten und uns so eine Existenz aufzubauen, fernab von dem Wahnsinn hochzivilisierter Gesellschaften, in denen die Aufklärung selbst nach 200 Jahren noch keinen Einzug gehalten hat :? Ich denke, dies wäre das glücklichste Leben, das ich nur haben kann
Aber: Der liebe Gott hat uns Menschen ja aus dem Paradies rausgeschmissen, weil wir nicht artig waren. Also gibt's auch bei der Sache den ein oder anderen Haken
Der für mich auffälligste ist die Versorgung im Alter:
Wie soll mein/unser Leben aussehen, wenn wir alt sind? Können wir dann noch die Felder selbst bestellen oder sind wir auf Hilfe angewiesen? Wenn nicht: haben wir dann genug Ersparnisse um nicht hungern und frieren zu müssen? Wenn ich Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf habe, bin ich zufrieden, aber wird es dafür reichen? Darüber mache ich mir die größten Sorgen
Das nächste Große Fragezeichen sind für mich Kinder:
Eigentlich möchte ich sehr, sehr gerne Kinder haben, ich mag Kindern und will ihnen ja auch etwas von mir mitgeben. Aber wie würde sich ein Leben als Aussteiger auf Kinder auswirken, die ja nie die Entscheidung treffen konnten, "auszusteigen"? Für sie wäre dieses Leben das einzige, das sie kennen, und sie könnten wahrscheinlich die Welt nie so sehen, wie ich sie sehe. Sie wären leichte Opfer für solche Systeme wie die, dich ich so verabscheue (siehe die LBS-Werbung: "Papa, wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden!"). Und ungeachtet aller negativen Auswüchse unserer Gesellschaft bin ich der Meinung, dass Bildung nach Glück das höchste Gut ist, das es zu besitzen gilt. Wie sollten die Kinder die Bildung bekommen, die mir zuteil wurde?
Oder sind diese Überlegungen etwa hinfällig, weil sie noch aus dem falschen Wertesystem der Gesellschaft herrühren, die ich dann verlassen haben werde?
So, jetzt habe ich mir seit über einer Stunde die Seele aus dem Leib geschrieben, teilweise ein gutes Gefühl
Ich würde mich wirklich freuen, wenn jemand ganz allgemein Manöverkritik üben könnte und speziell auch auf die beiden letzgenannten Punkte (Altersvorsorge und Kinder) eingehen würde
Ratgeber-Aussteigen ist ganz informativ, allerdings beschreibt das ja wirklich nur die alleräußersten Rahmenüberlegungen. Das Buch von G. Schönauer habe ich gelesen und war ein wenig enttäuscht: Was mir an westlichen Gesellschaften nicht gefällt war mir schon vorher klar und wie gut es Herrn S. inzwischen geht ist ja prima, nur habe ich über das "Wie?" beim Aussteigen nicht viel erfahren
Vielleicht gibt es ja andere, lesenswerte Bücher?
So viel für heute Nacht
Viele Liebe Grüße,
Carsten