Ich begrüße euch, Ihr, die auf der Suche nach Wahrheit im Leben, einen selbstbestimmten Weg gewählt habt. Ihr alle habt meinen größten Respekt für euren Mut auf die innere Stimme zu hören. Dass ich diese Zeilen jetzt schreibe ist der Eskalation meines Umstandes geschuldet - schon zwei Jahre verfolge ich dieses Forum (mal mehr mal weniger intensiv) und trage die Absicht mich an euch zu wenden mit mir, doch schien mir der Zeitpunkt immer ungünstig, aber in Wirklichkeit habe ich einfach nicht wahr haben wollen, dass es den richtigen Zeitpunkt nicht gibt, bis die Stimme so laut wurde, dass ich nichts anderes mehr hören konnte.
Vor 34 Jahren erblickte ich das Licht dieser Welt in einem kleinen Dorf des heutigen Kasachstan nahe chinesischer Grenze. Als ich 5 war zog es meine Eltern in den hohen Norden Sibiriens, wo mein Vater eine Öl-Pipeline mit verlegt hatte. Wir waren nicht wirklich arm, aber die Verhältnisse waren in der Sowjetunion allgemein bescheiden, was vermutlich für den sozialen Zusammenhalt der Familien nicht unwesentlich mit verantwortlich war. Meine Kindheit war begleitet von vielen Freunden und Abenteuern. Die ersten Jahre im Norden wohnten wir mit einer verwandten Familie unter einem Dach, was mich als Ältesten sehr früh in eine Rolle mit großer Verantwortung für andere drängte. 1990 sind wir dann nach Deutschland gekommen, und alles änderte sich. Ich lernte, dass jede Wiese jemandem gehört, und man nur auf vorgesehenen Plätzen spielen darf. Ich lernte, dass Freunde mit neuen Spielzeugen kommen und gehen. Ich lernte den egoistischen Grundgedanken. Ich verstand, dass ich in dieser Welt nur Mensch bin, wenn ich es zeigen kann, und so fokussierte ich all meine Energie auf die Schule, um irgendwann einen tollen Job zu haben und all denen, die mich damals als Streber beschimpfen, den Neid zu servieren.
Dieser Weg war sehr einsam, und so stürzte ich mich blind dem ersten Menschen entgegen, der meine Seele berührte. Es war vielleicht nicht nur das junge Mädchen aus dem Gebiet Kaliningrads, das meine aufgebaute Mauer der berechenbaren Logik, bröckeln ließ. Nach fast 10 Jahren war ich wieder in meinem Geburtsland, das mich überall an meine Kindheit erinnerte, in einem Dorf, wo Menschen noch so lebten wie damals. Dieses Gefühl der Geborgenheit bei gleichzeitiger Freiheit wollte ich nicht mehr missen - in mir erwachte eine tiefe Sehnsucht dem Leben einen neuen Sinn zu geben. Ich heiratete dieses Mädchen als ich 20 war. Ich machte noch Abitur und versuchte über allerlei Jobs uns finanziell auf zu bauen, doch so bald sie nach Deutschland kam, stellte sich raus, dass wir hinsichtlich monetärer Aspekte grundsätzlich unterschiedliche Weltbilder haben. Es fühlte sich an, als ob ich nur das Ticket in eine bessere bzw. reichere Welt war. Die Beziehung endete mit dem Tag, als sie die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekam. Es folgte eine sehr schwere Zeit, die ich allein in Gesellschaft und mit exzessivem Cannabis-Konsum zu bewältigen glaubte.
2 Jahre später fühlte ich mich wieder bereit für was neues und fing ein Informatik-Studium an. In den ersten Semesterferien beschloss ich einen Freund in St. Petersburg zu besuchen, den ich in Kaliningrad kennen lernte. Wir fuhren zusammen ans schwarze Meer, und ich lernte dort meine jetzige Frau kennen. Da auch sie zu dem Zeitpunkt erst ihr Studium begonnen hatte, führten wir die nächsten 4 Jahre eine Fernbeziehung. Mir kam das sehr gelegen, denn ich wollte sicher stellen, nicht den gleichen Fehler zu wiederholen. Auch schien mir der Umstand, dass ihre Eltern eher wohlhabend sind, beruhigend, in der Hinsicht, dass hier finanzielle Aspekte keine Rolle spielen würden. Es wurde sogar ernsthaft in Erwägung gezogen in St. Petersburg unser Glück zu versuchen, da ihre Eltern dort eine Wohnung gekauft hatten um uns den Start zu erleichtern. Schlussendlich aber kamen wir zu dem Schluss, dass das schnelle Leben, des Raubtierkapitalsmus, welches sich vor allem auf dem Arbeitsmarkt austobte, nichts für uns war.
Einen Monat nach meinem Kolloquium kam sie her und wir heirateten. 9 Monate später wurde ich Vater. Die Geburt meines Sohnes setzte einen Denkprozess in mir in Gang, der sich um die Frage drehte, was diese Verantwortung bedeutet. Ich begann mich intensiv mit der Welt in der ich lebe auseinander zu setzen. Ich fühlte mich verpflichtet etwas zu unternehmen um diese Welt etwas besser zu machen. Nach einigen ernüchternden Erfahrungen bei Anstrengungen etwas zum Positiven zu verändern (war unter Anderem bei Piraten aktiv) kam mir der Gedanke, dass mein Sohn wohl kaum was davon haben wird, wenn ich mein Leben der Gesellschaft opfere, und es vielleicht viel mehr darauf ankommt, dass ich die kleine Welt meiner Familie nach eigenen Wünschen gestalte.
In dieser Welt sollte es ein Grundeinkommen geben, welches einem den Luxus, Zeit für sich und andere zu haben, bietet. Ich tauschte meinen 740 BMW gegen einen Prius und fing an mich mit Möglichkeiten Vermögen auf zu bauen zu beschäftigen. Ich fing an alle Ausgaben fest zu halten um einen Überblick und Planungssicherheit zu bekommen. Ich suchte einen Job, wo mehr gezahlt wird, und kaufte eine ETW für kleines Geld (45 Tsd). Nach zwei Jahren war sie ausgezahlt und für mich füllte sich die Arbeit immer mehr mit einem Gefühl der Leere, denn während ich wie im goldenen Käfig eingeschlossen dem großen Automobilkonzern dabei behilflich war den Menschen durch die Maschine zu ersetzen, musste mein Sohn die Welt ohne meine Hilfe verstehen lernen.
Und meine Frau.. Sie hat in all der Zeit ihr Gefühl für den eigenen Selbstwert fast verloren.. Da war dieses neue Land mit all den Herausforderungen und die Familie bot eine Möglichkeit sich diesen zu entziehen.. Da war ihr Beruf und die innere Haltung über Kariere mit anderen konkurrieren zu müssen und auch eigenem Leben so Sinn geben zu können, und gleichzeitig der Wunsch was ganz anderes zu machen.. Da war all das Geld, was ich verdiente, und das Gefühl sich nichts leisten zu können, da ich das Geld stark zusammen hielt..
Für mich war klar, dass die Zeit für eine Veränderung reif war, denn so konnte es nicht weiter gehen. Mein Plan sah vor, dass ich mir ein Jahr Zeit nehme (Arbeitslosengeld) und zusammen mit meiner Familie möglichst viele Menschen mit unterschiedlichsten alternativen Lebenskonzepten besuche um anschließend eine Entscheidung treffen zu können wie und wo wir leben wollen.
Es war der 15 Juli 2013, ein traumhafter Sommertag, als ich ins Personalbüro gebeten wurde, um meine Kündigung in Empfang zu nehmen. Anschließend durfte ich meine Sachen packen und wurde für die restlichen 4 Wochen freigestellt. Als ich aus diesem Plattenbau-Büro raus kam - es war noch nicht Mittag - fühlte ich eine mir bis dahin fast in Vergessenheit geratene Euphorie. Es war ein Gefühl fallen gelassener Fesseln und damit einher gehender Freiheit und Vorfreude. Ich erledigte sofort den Kram mit dem Arbeitsamt und fuhr schnellstens nach Hause. Ich wollte sofort loslegen. Da niemand zu Hause war - Kind in Kita, Frau bei Freundin - setzte ich mich an meinen Rechner und begann mit der Verfassung meiner Vorstellung.
Als dann einige Stunden später meine Frau wieder kam und ich ihr von meinem Glück erzählte, war die Reaktion gelinde gesagt verhalten. Ich verstand ihre Sorge nicht, denn in finanzieller Hinsicht gab es dafür keinen Grund, und in der Tat war der Grund ein viel tieferer. Ihr war es Angst und Bange beim Gedanken nicht zu wissen, was kommt und das was kommt nicht ändern zu können - das Gefühl der Ohnmacht hatte sich zu einer Furcht vor einer absoluten Abhängigkeit von mir entwickelt. Plötzlich war das Beibehalten eines für westliche Verhältnisse adäquaten Lebensstandards das höchste Kriterium für weitere Entscheidungen. Da ich nicht versprechen konnte, dass es bei all unseren Reisezielen fließend Wasser und gefliestes Klo geben wird, wollte sie nicht mit. Auf der anderen Seite war es auch keine Alternative, dass ich alleine diese Reise mache, denn es wurde so hingestellt, als würde ich meine Familie verlassen. Ich wollte nichts übers Knie brechen, und ließ vom Plan ab. Die frisch gewonnene Freiheit nutzte ich um all das nach zu holen, was die letzten zu kurz kam. Wir unternahmen als Familie viele Ausflüge, beschäftigten uns mehr mit dem Kind und mit uns selbst. Um die Wohnung für einen Verkauf (ist mittlerweile ca. 100 Tsd wert) vor zu bereiten nahm ich mich umfangreicher Modernisierungs-Projekte an. Für mich war die Sache nur verschoben, und keineswegs gestorben. Als ich nach einem halben Jahr meine Frau auf die Frage hin angesprochen habe, wie wir weiter machen wollen, erklärte sie mir, dass sie erst Ihre "Unabhängigkeit" - sie meinte wahrscheinlich Selbstbewusstsein - zurück gewinnen müsse. Ich sah darin durchaus Sinn, denn so - dachte ich mir - könne sie Erfahrungen machen, die ihr meine Sicht auf die Dinge nachvollziehbarer machen und vielleicht zu selben Schlüssen führen bzw. gleiche Wünsche erwecken. Und sollte der berufliche Weg für sie doch erfüllend sein, so würde dies die Finanzierbarkeit des neuen Lebens erleichtern.
Halbes Jahr später waren die Leistungen des Staates ausgeschöpft, und die Situation eskalierte, denn bis dahin hatte sie nicht eine Bewerbung abgeschickt, und ich hatte nur halbherzig mich um einen neue Stelle bemüht - ich wollte den "Urlaub" so weit wie möglich ausdehnen. Ich erklärte ihr den Ernst der Lage und ging zum JobCenter. Dort wurde sie schnell an die Hand genommen und zwei Wochen später trat sie eine Stelle als Buchhalterin im neuen Hotel einer großen Kette an, aber ich konnte beim besten Willen in der Gegend scheinbar nicht mehr unterkommen. Da alle Firmen in meiner Branche hier allein von diesem großen Arbeitgeber leben - Geschäftsmodell Arbeitnehmerüberlassung - und dort mein möglicher Einsatzgebiet auf wenige Abteilung beschränkt ist, schien mein Name so weit "verbrannt", dass jedes Interesse einer Firma an mir nach dortiger Nachfrage sofort erlosch. So musste ich meinen Radius erweitern, und bot mich irgendwann Deutschlandweit an. Während dessen entfremdete sich meine Frau bedingt durch psychische und körperliche Dauerbelastung immer mehr von mir - sie musste jeden Tag mindestens 10 Stunden arbeiten, ohne dass dies bezahlt wäre, manchmal am Wochenende, und wurde von Kolleginnen offensichtlich gemobbt. Aber es war ihr fast so, als müsse sie allen beweisen, dass sie es schaffen kann - vor allem mir, da ich in Ihren Augen Zweifel an ihren Fähigkeiten hätte.
In Stuttgart fand ich einen Arbeitgeber, der mich wegen seiner "sozialen Ader" sehr angesprochen hat und ich nahm die Stelle an mit der Option, dass sie später nachkommen könne, oder ich die Stelle wieder kündige und zurück komme, so bald sich die Situation bei ihrer Arbeit so entwickelt hat, dass sie vernünftig vergütet wird und/oder vor allem persönlich sich wohl und sicher fühlt. Aber als ich weg fuhr - das Kind nahm ich mit zur Oma - hinterließ ich meine Frau mit einem Gefühl des allein gelassen und fast schon verlassen seins. Wie sich nachträglich rausstellte, lernte sie kurz darauf jemanden kennen, der selbst eine Familie hat, und diese verlassen wollte. Ich kam an sie nicht mehr heran und bekam schon bald die alles befürchtete Ansage zu hören "Ich will die Scheidung. Wirst du die Papiere unterschreiben oder stellst du dich quer?" Ich stellte mich quer und während ich da war und reden konnte, schien dieses Problem lösbar, doch so bald ich wieder weg fuhr, schottete sie sich völlig ab. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, jeden Tag bis 9 Uhr Abends warten zu müssen um anrufen zu dürfen, nur um zu hören, dass sie zu müde sei zum sprechen, und so rief ich bei der Arbeit an mit dem Hinweis, dass man in diesem Land Gesetze hat, die Arbeitnehmer vor Überarbeitung schützen sollen - am nächsten Tag wurde sie gekündigt. Es kann sich wohl jeder ausmalen, dass es nicht unbedingt zu einer Verbesserung der Situation führte. Erst recht nicht, als sie es vorzog die restliche Zeit auch noch hin zu gehen, statt die Zeit zu nutzen um sich nach Alternativen um zu sehen - das war vor 3 Monaten.
Und jetzt.. Sie hat noch immer nichts gefunden.. Das Kind noch immer bei der Oma und ich in Stuttgart..
So weit die Vorgeschichte - es ist wohl ziemlich viel, aber andererseits will ich hier Menschen finden, die mich (er)kennen, und dafür bietet es sich in der Regel an alles offen zu legen.
Der Plan nach Stuttgart zu ziehen ist vom Tisch. In Wolfsburg wollten wir auch nicht bleiben. So wurde spontan entschieden in den Harz nach Bad Gandersheim zu gehen mit dem Wunsch dort etwas zur Ruhe zu kommen. Ich habe den Ort schon länger auf dem Radar, wegen des Dorfes "Heckenbeck" und der dortigen Freien Schule. Außerdem ist der Wohnraum unschlagbar günstig. Eigentlich ist der Mietvertrag dort zum 1.1.2015 unterschrieben aber da will ja keiner umziehen, also wird es wohl irgendwann im Januar über die Bühne gehen. Meine Frau knabbert noch an ihrer Entscheidung sich darauf eingelassen zu haben aber der Kleine freut sich riesig auf sein neues großes Kinderzimmer.
Ich wollte hier demnächst (zum ende Januar, spätestens Februar) kündigen und das letzte halbe Jahr, das mein Sohn noch bis zur Einschulung hat, mit ihm intensiv verbringen - vielleicht (mit einem Wohnwagen) nach Spanien fahren.. Vor allem aber möchte ich Menschen besuchen um von ihnen zu lernen.. Wie man mit eigenen Händen ein Haus baut - idealerweise Richtung Earthship, wie man sich mit möglichst wenig Aufwand selbst versorgt - vielleicht Permakultur, wie man seine inneren Kräfte aktiviert - z.B. Meditation, und überhaupt, wie man die Kunst eines selbstbestimmten und erfülltes Leben mit Verantwortung für die Familie in Einklang bringen kann.
Liebe Grüße
Nikolai
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