Shiva hat geschrieben:
Ist so ähnlich, wie du oben beschrieben hattest.
Ich hatte in den letzten Tagen ein Buch über die Raunächte gelesen.
Da kam ich zu dem Kapitel - Meditative Spaziergänge - .
Ich finde es immer sehr interessant, dass, wenn man etwas neues sieht, hört, es einem plötzlich überall begegnet, bzw. man achtet eher darauf?
Ich denke, dass es noch ein paar solcher Methoden gibt. Ein Freund hat mir von einer berichtet, bei der man sich im Wald einen Stein sucht und anhand dieses Steins existentielle Fragen stellt/beantwortet. Auch sie hat schamanischen Ursprung.
Und ja! Das ist normal, dass einem dann mehr auffällt, weil man halt seine Antennen danach ausgerichtet hat. Als ich beispielsweise eine Lebenspartnerin hatte, die einen Kopf grösser war als ich, sind mir plötzlich viele Paare aufgefallen, bei denen er kleiner war als sie.
Megalitiker hat geschrieben:
Beim oben beschriebenen Spaziergang sehe ich praktische Schwierigkeiten. Man läuft 40 Km am Tag. Wie komme ich wieder nach Hause? Es sei denn ich wähle bewusst eine Kreisroute.
Meiner Meinung nach macht das nur in einer fremden Umgebung Sinn, wo ich nicht weiss wo die nächste Gabelung mich hin fuehrt.
Bei Sonnenuntergang ist es ja noch nicht stockfinster. Da kann man dann noch zur nächsten Bushaltestelle gehen oder zur nächsten Strasse, um den Daumen in den Wind zu halten.
Und ja! Unbekannte Gegend kann hilfreich sein - ist aber nicht unbedingt zwingend notwendig... so wie ich das im Nachhinein einschätze...
Aber hier nun endlich mein lange versprochener Bericht:
Meine Medizin-Wanderung
«Wohin führt mein weiterer Lebensweg?». Meine Frage, die ich auf meine Medizin-Wanderung mitnehmen sollte, war schnell gestellt. Meine Therapeutin empfahl mir, sie auf einen Zettel zu schreiben und mitzunehmen, damit ich sie hervorholen kann, sollte ich thematisch vagabundieren und von der eigentlichen Frage abkommen. Die Regeln: Das Mobiltelefon muss während der Wanderung ausgeschaltet sein, mitgenommen werden sollen etwas zu Trinken und allenfalls ein Apfel – falls der Hunger überhandnehmen sollte und man sich aufgrund des Hungergefühls nicht mehr konzentrieren kann. Zu Beginn soll man über eine symbolische Schwelle treten und sich vorher noch einmal sagen: «Ich gehe jetzt auf meine Medizin-Wanderung mit der Frage, wohin mein weiterer Lebensweg führt!».
Natürlich habe ich mir im Vorfeld schon einige Gedanken gemacht. Ich freute mich darauf, auch einfach mal vom Weg abzukommen. Einen bewaldeten Hang durchqueren ohne zu wissen, wo ich da rauskommen werde. Und irgendwann wurde für mich klar, dass ich einen anderen Ort als meinen Wohnort als Start der Medizin-Wanderung nehmen würde. Die Gegend kannte ich zu gut. Da war die Gefahr zu gross, sich zu sagen: «Da drüben ist das Dorf XY – mal schauen ob ich’s bis dahin schaffe!» und dabei vom eigentlichen Thema abzukommen. Zudem wohne ich in einem Alpental mit seinen winterlichen Tücken – beispielsweise einem möglichen Lawinen-Niedergang. Also entschloss ich mich, weiter unten im Tal, wo ich mich weniger auskannte und wo die Umgebung weniger alpin ist, ein Hotelzimmer zu buchen und den Abend nach der Medizin-Wanderung im lokalen Thermalbad ausklingen zu lassen. Zwar kannte ich mich weiter unten im Tal weniger aus, aber halt immer noch gut genug, um mir einen Plan zurecht zu legen, in welche Richtung ich loslaufen wollte.
Am Tag meiner Medizin-Wanderung bezog ich um 11 Uhr das Hotel-Zimmer. Von der Hotel-Rezeption ging es zwei Treppen runter zu meinem Zimmer. Es lag am Anfang eines Korridors, der zur Tiefgarage führte. Die konnte man durchqueren um zum Thermalbad zu gelangen und zu einem Hinterausgang. Ich beschloss als meine symbolische Schwelle die Schwelle zu meinem Zimmer zu wählen und nicht den Eingang zum Hotel. Das ermöglichte mir, die Hotel-Rezeption zu meiden und durch die Tiefgarage den Hintereingang zu erreichen. Meine Motivation war es, möglichst schnell die Zivilisation hinter mir zu lassen.
Ich ging also durch den Hintereingang ins Freie und ging in die Richtung, die ich mir vorgenommen hatte. Ich konnte zu ihr gelangen, indem ich einen weniger belebten Dorf-Teil durchquerte. Aber nach wenigen Metern schon blieb ich stehen und betrachtete die Talseite, die ich erreichen wollte. Sie lag im Schatten und war stark bewaldet. Ausser durch den Wald zu irren oder in ein Seitental zu gelangen sah ich nicht sehr viele Möglichkeiten. Ich wandte mich der anderen Talseite zu. Die Sonne liess sie hell erscheinen. Auch sie war bewaldet, hatte aber grosse Lichtungen mit weiten, schneebedeckten Wiesen. Sie schien mir attraktiver und ich glaubte, sie böte mehr Möglichkeiten. Nur: Um sie zu erreichen musste ich durch den vielbelebten Teil des Dorfes. Nach einigem Abwägen während dem mein Blick immer wieder von der einen zur anderen Talseite schweifte, entschied ich mich für die Sonnenseite. Und die Zivilisation? «Da musst du jetzt durch!», sagte ich mir. Ich änderte also meine Richtung und wählte einen Weg, der mir ermöglichte so gut wie möglich den Kontakt mit Menschen zu vermeiden. Ich kam zum Eingang zu einem Seitental, durch das sich ein Fluss schlängelte. Als ich in dieses Seitental entfliehen wollte vor der Zivilisation, stand mir aber eine Absperrung im Weg. Das Seitental war nicht zugänglich, weil es in der Wildschutzzone liegt. Und natürlich wollte ich die Wildschutzzone respektieren. Also ging ich weiter am Dorfrand und kam durch das Villen-Viertel. Noch immer getrieben von meiner Zivilisationsflucht wählte ich hier die Wege so, dass sie mich möglichst schnell in die Natur bringen würden. Die zahlreichen Wegweiser konnte ich nicht lesen, weil ich meine Brille nicht trug – absichtlich.
Bald fand ich einen Weg, der bergauf führte und mich aus dem Villen-Viertel herausbrachte. Es war ein steiler Weg. Mein Ziel war es, irgendwann den Hang zu queren. Oft nahm ich einen Seitenweg um zu prüfen, ob ich bereits hier meine Hangquerung machen sollte. Die Hoffnung, dass es aber weiter oben eine bessere Möglichkeit gäbe zur Hangquerung, trieb mich aber immer wieder auf den ursprünglichen Weg zurück und weiter bergaufwärts.
Nach einer Zeit des mühseligen Aufstiegs entdeckte ich zu meiner Rechten im freien Hang eine Baumgruppe bestehende aus drei knorrigen Bäumen. Ich fühlte mich auf irgendeine Weise zu dieser Baumgruppe hingezogen. Sie schien nur querfeldein erreichbar zu sein. Zwar verfüge ich über Basis-Kenntnisse zur Einschätzung der Lawinen-Gefahr. Aber ich zögerte dennoch, über das Schneefeld auf direktem Weg zur Baumgruppe zu gelangen. Es sind eben nur Basis-Kenntnisse und für eine richtige Analyse kann ich nicht alle Faktoren wirklich einschätzen. Ich blieb lange stehen und wog ab. Schliesslich entschied ich mich, den offiziellen Weg weiter zu gehen. Allenfalls würde es ja weiter oben eine Möglichkeit geben, doch noch zur Baumgruppe zu gelangen. Zumindest erkannte ich weiter oben Pfosten im Hang, die in Richtung der Baumgruppe führten. Das konnten aber ebenso gut Pfosten für einen Weidezaun sein, ohne dass ein Weg in der Nähe wäre.
Tatsächlich teilte sich aber der Weg weiter oben. Der eine Weg ging als Hangquerung in Richtung eines Waldes, der andere führte oberhalb der Baumgruppe vorbei. Ich nahm den Weg Richtung Baumgruppe und musste über der Baumgruppe noch ungefähr 50 Meter querfeldein hinunter zur Baumgruppe. Als ich bei der Baumgruppe angelangt war, stellte ich fest dass sie über einem Abhang stand, der in das Seitental hinunter führte, das ich ursprünglich nehmen wollte. Ich blieb einen Moment bei den Bäumen und ging dann zurück zum Ausgangspunkt, an dem ich abwog welchen weiteren Weg ich nehmen sollte. Den Rückweg trat ich querfeldein an. Ich fühlte eine grosse Befriedigung darüber, dass ich den Abstecher gemacht hatte und erkannte, dass ich jetzt oben bin und mir durchaus auch die Zeit nehmen kann, etwas auszuprobieren. Vom Ausgangspunkt aus nahm ich wieder den offiziellen Weg an dem auch eine Sitzbank war, auf der ich nun Platz nahm, ins Tal hinunterschaute und die Ruhe und die schöne Aussicht genoss. Auch die Tatsache, dass nicht unweit davon entfernt eine Schneeschuh-Wanderin den Berg bestieg und etwas entfernter Skifahrer den Tiefschnee hinunterfuhren, störte mich nicht. Beinahe hätte ich mich belohnt, indem ich den Apfel gegessen hätte. Ich entschied mich aber dagegen, weil ich den Vorgaben entsprechen wollte und die Medizin-Wanderung weiterhin fastend verbringen wollte – zumal mein Hungergefühl nicht störend war.
Ich ging weiter des Weges durch den Wald. Noch immer ging es streckenweise bergauf, die allgemeine Richtung war aber dennoch die Hangquerung. Mir fiel plötzlich auf, dass ich – mit Ausnahme des Besuchs der Baumgruppe – noch zu keinem anderen Zeitpunkt querfeldein ging. Bin ich etwa doch nicht der Typ fürs Unkonventionelle? Bin ich nicht der «Aussteiger-Typ» und brauche doch irgendwie vorgepfadete, wenn auch wenig betretene, Wege? Und mir fiel auf, dass ich sehr viel bergauf gegangen bin. Mir kam meine Passion in den Sinn, mit dem Fahrrad Pässe zu erklimmen. Viele fragen mich immer wieder, weshalb ich mir diese Mühe antue. Aber ich finde es ein äusserst befriedigendes Gefühl, nach all der Anstrengung (oben) anzukommen. Klar könnte ich das auch mit dem Bus oder dem Auto. Aber mit dem Fahrrad habe ich mehr das Gefühl, es alleine geschafft zu haben. Mit diesen Gedanken kam ich zur nächsten Wegkreuzung. Der eine Weg führte auf einen jener Winter-Wanderwege, die vor allem für Touristen angelegt sind und einen Rundgang ums Dorf mit Naturbeschauung ermöglichen. Der andere Weg führte in Richtung eines Berggipfels. Mit der Überzeugung, dass irgendwann mal genug ist und ich nicht jeden Gipfel stürmen muss, entschied ich mich für den konventionellen Winter-Wanderweg. Ja, ich freute mich sogar richtiggehend wieder in die Zivilisation zu kommen. Und ich freute mich auch noch, als ich den Dorfrand des nächsten Dorfes erreichte. Meine Freude verging aber schnell wieder. Mitten im Dorf durchquerte ich eine enge Strasse, die links und rechts von Häusern gesäumt war, keinen Anblick ausser jenen der Häuserfronten gewährte und auch keine Ausweichmöglichkeiten bot. Meine Zivilisations-Flucht hatte mich wieder und ich versuchte wieder, so schnell wie möglich aus dem Dorf in die Natur zu gelangen. Ich nahm lieber eine präparierte Langlauf-Loipe und riskierte, von einem Langläufer zurecht gewiesen zu werden als dass ich eine Strasse nahm an der ich ein Hotel erblickte vor dem eine Gruppe diskutierender Personen stand.
Bald hatte ich auch dieses Dorf hinter mich gebracht. Weiter schien es nun nur auf einer geteerten, von Autos befahrenen Strasse zu gehen oder auf einem weiteren Winter-Wanderweg. Aber dann entdeckte ich einen verschneiten Wegweiser im Wald. Ich näherte mich und tatsächlich war da ein schmaler Pfad, der in den Wald führte und gemäss Wegweiser ins nächste Dorf. Dort wollte ich nun hin und den Zug zurück zu meinem Ausgangs-Dorf nehmen. Schliesslich stand die Sonne schon ziemlich tief. Dass ich diesen Weg entdeckt habe, beflügelte mich wieder ungemein und gab mir Kraft. Ich kam schnell voran. Dennoch rechnete ich damit, dass ich erst nach vollständigem Sonnenuntergang im nächsten Dorf ankommen würde. Dort wollte ich mir in einem Restaurant, das ich kannte, ein Bier und ein belegtes Brot gönnen. Der Pfad führte lange durch den Wald entlang der Höhenlinie. Dann senkte er sich in Richtung eines Seitentals. Unten in diesem Seitental entdeckte ich einen freilaufenden Hund. Dann einen zweiten, einen dritten und einen vierten. Weit und breit schien kein Mensch sich um die Hunde zu kümmern. Das war mir nicht ganz geheuer. Obschon freilaufende Hunde in der Schweiz kein bekanntes Problem sind – nicht etwa wie in Griechenland. Da die Sonne mittlerweile hinter den Bergspitzen verschwunden ist und der Weg ins nächste Dorf noch länger schien als ich mir das gedacht hätte, kehrte ich um. Im Dorf, das ich als letztes hinter mir gelassen hatte, nahm ich den Bus zurück zum Ausgangs-Dorf.
Ein paar besoffene Touristen drängten sich beim Eingang des Busses vor. Ich schüttelte nur den Kopf und dachte: «Na, ihr werdet mir die Freude an der Zivilisation nicht zurückgeben!». Im Hotel dann eine Dusche und ab ins Thermalbad. Im warmen Wasser liegend (am liebsten hätte ich das nackt gemacht, denn so fühlte ich mich eigentlich auch nach dieser Medizin-Wanderung) sinnierte ich über dies und das: Vergangene Freundschaften, enttäuschte Liebe, mein Weg der mich hierher geführt hat und natürlich auch die Erkenntnisse aus dieser Wanderung:
Mein Weg muss nicht ein bestimmtes Ziel haben. Aber wo immer er hinführt: ich will mir die Option offenhalten, die Richtung zu wechseln.
Mein Weg kann und darf auch mühselig werden
Mein Weg muss nicht unbedingt auf einen Gipfel führen.